Tschernobyl

So bewegt die grösste Nuklearkatastrophe die Zentralschweiz heute

27.04.2023, 00:51 Uhr
· Online seit 26.04.2023, 20:38 Uhr
«Mein Sohn kam in dieser Zeit zur Welt und durfte nicht draussen spielen», erzählt Johannes aus Schwyz. «Ein grosses Leid für die ganze Menschheit», so Carmen aus Adligenswil. «Ein Moment, der mich aufrüttelte und politisch prägte», sagt Luzerner Altpolitikerin Brigitte Mürner-Gilli. Ein Rückblick zum Jahrestag der grössten Nuklearkatastrophe aller Zeiten.

Quelle: PilatusToday / Livia Barmettler

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«Zuerst war einzig die Rede von einem Brand. Aber das reichte, um die Menschen in Luzern in eine gewisse Unruhe zu versetzen», erinnert sich Altpolitikerin Brigitte Mürner-Gilli.

Als am 26. April 1986 im ukrainischen Kernkraftwerk Tschernobyl der Reaktor 4 explodierte, war Mürner-Gilli amtierende höchste Luzernerin. «Es war auf politischer Ebene ein einschneidendes Erlebnis. Vor Tschernobyl hatte man zwar auch schon technische Probleme, man ging aber davon aus, dass die Technik selbst die Probleme, die sie verursacht, lösen könne. Ein Irrtum, wie sich herausstellte», so die Altpolitikerin.

«Tschernobyl hat stark aufgerüttelt»

Vor Tschernobyl habe man im Kanton Luzern zwar schon auch eine politische Debatte über die Atomkraft geführt, aber die Debatte war nicht sehr prominent. «Es ging nicht emotional zu und her, die kritische Auseinandersetzung mit der Atomkraft stand noch ganz am Anfang», erinnert sich Mürner-Gilli.

Dies habe sich mit Tschernobyl schlagartig geändert. «Als ich in der folgenden Sommersession 1986 als Präsidentin des Grossen Rates die Eröffnungsrede hielt, setzte ich einen Fokus auf Tschernobyl. Ich verlangte, bestehende AKWs sicherer zu machen und keine neuen mehr zu bauen», erinnert sich die Altpolitikerin.

Tschernobyl habe sie und viele andere politisch geprägt: «Mich hat Tschernobyl stark aufgerüttelt. Mein Ziel war es, die Thematik in mein politisches Portfolio aufzunehmen. Als ich ein Jahr später zur kantonalen Bildungsdirektorin gewählt wurde, war es mir ein grosses Anliegen, dass Tschernobyl Eingang findet in die Bildungscurricula.»

Was blieb?

Was aber ist heute vom damaligen Wandel der Debatte noch spürbar? Und wo macht sich nicht doch Vergesslichkeit breit? «Damals herrschte mehr Einheit. Gruppierungen, die sich bis anhin für AKWs ausgesprochen hatten, blieben die Jahre nach Tschernobyl eher still.» Heute gäbe es vermehrt wieder Gruppierungen, die sich für Atomkraftwerke stark machen, mit dem Argument, sie seien umweltfreundlicher.

Aber eins sei sicher: «Die politische Debatte heute zeigt, dass viele noch geprägt sind von Tschernobyl, denn die AKWs sind weiterhin umstritten», so Brigitte Mürner-Gilli.

In der Schweiz gibt es fünf Kern­kraft­wer­ke: Bez­nau 1 und 2, Müh­le­berg (ausser Betrieb), Gös­gen und Leib­stadt.

Und nicht nur auf politischer Ebene zeigt sich ein Nachhall Tschernobyls: Auch in der Luzerner Altstadt wird bei unserer Strassenumfrage rasch klar, dass Tschernobyl nach wie vor ein Thema ist, das die Menschen beschäftigt. «Ich war damals mit meiner Frau in den USA. Informationen gab es nur wenige, wir gingen davon aus, ganz Europa sei verseucht», so beispielsweise Urs Fluder aus Luzern. Johannes Schwimmer aus Schwyz erzählt uns ebenfalls, warum er sich noch ganz genau an den 26. April 1986 erinnert: «Unser Sohn kam damals auf die Welt und war krank. Man ging davon aus, es sei wegen Tschernobyl», erzählt er uns.

Nebst persönlichen Erinnerungen erinnern sich aber auch viele Passantinnen und Passanten an eine «Katastrophe», die viel Leid über die Menschheit brachte. Und bis heute weitreichende Folgen hat.

In der Schweiz gilt seit 2017 und der Annahme der bundesrätlichen Energiestrategie 2050 ein AKW-Bauverbot. Das Verbot wird aber immer wieder heiss diskutiert. Was denkst du? Schreibs und in die Kommentare!

veröffentlicht: 26. April 2023 20:38
aktualisiert: 27. April 2023 00:51
Quelle: PilatusToday

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