Coronavirus

«Wir müssen handlungsfähig bleiben»

27.03.2020, 08:04 Uhr
· Online seit 26.03.2020, 14:29 Uhr
Während viele Geschäfte ihren Betrieb um- oder einstellen mussten, ist auch das politische Leben in der Zentralschweiz immer mehr zum Stillstand gekommen. Dabei sei es eminent wichtig, dass die Politik auch in einer akuten Krise weiterfunktionieren könne, sagt Jérôme Martinu, Chefredaktor der Luzerner Zeitung.
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Wir leben in aussergewöhnlichen Zeiten: Alle Geschäfte bis auf die Lebensmittelgeschäfte wurden aufgrund des Coronavirus vorübergehend geschlossen, das öffentliche Leben steht still. Doch nicht nur das: Auch auf politischer Ebene geht im Moment wenig. Das hat Folgen für die Bevölkerung, wie Jérôme Martinu, Chefredaktor der Luzerner Zeitung, im Interview sagt.

Jérôme Martinu, am kommenden Sonntag sind Kommunalwahlen im Kanton Luzern. Denken Sie, dass diese definitiv stattfinden?

Jérôme Martinu: Ja, ich denke, dass die Wahlen durchgeführt werden und ich finde diese Entscheidung auch richtig. Dass man die kantonalen Abstimmungen vom 17. Mai hingegen verschoben hat, kann ich nachvollziehen, da der Meinungsbildungsprozess noch nicht wirklich angelaufen ist und in der aktuellen Situation auch erheblich erschwert wird. Über die Gemeindewahlen wurde aber bereits vor Corona berichtet, die Stimmbevölkerung konnte sich eine Meinung zu den Kandidatinnen und Kandidaten bilden. Ausserdem haben die meisten Leute das Wahlcouvert schon abgeschickt.

Es gibt aber auch Stimmen, die sagen, dass man doch nicht in Krisenzeiten die Exekutivmitglieder auswechseln könne...

Richtig, das ist ein Argument. Jedoch übernehmen die gewählten Personen ihr Amt erst im September und bis dann haben wir diese Krise hoffentlich überwunden. Alles, was jetzt noch geordnet ablaufen kann, ist gut und wichtig.

Wechseln wir von der Gemeinde- auf die Kantonsebene. Hier agiert jeder Kanton etwas anders. In Luzern müssen Take-Aways neu um 18.30 Uhr schliessen, zur gleichen Zeit wie die Lebensmittelläden. In Uri hatte man probiert, eine Ausgangssperre für Personen über 65 Jahren zu erwirken. Wie beurteilen Sie die Massnahmen der Zentralschweizer Kantone?

Die Massnahmen der Kantone wirken auf mich teilweise recht unkoordiniert. Ich habe auch nach wie vor den Eindruck, dass es viele Unsicherheiten gibt. Zudem ist ein gewisser Aktionimus zu beobachten. Die Kantone wollen es noch besser machen als der Bund, dabei schiessen sie auch übers Ziel hinaus. Die Ausgangssperre in Uri etwa war nicht rechtens. Und auch bei den Take-Aways in Luzern stellt sich noch immer die Frage der Rechtmässigkeit.

Sie sprechen es mit den Take-Aways an: Ganz viele Unternehmen mussten in den vergangenen Tagen und Wochen kreativ werden und ihr Geschäft umstellen, etwa auf Home-Office, Take-Aways statt Restaurants oder gar Kurzarbeit. Die Politik aber ist in eine Art Schockstarre verfallen, die Parlamentssitzungen sind abgesagt.

Das kann man in der Tat so sehen. Es ist zwar nachvollziehbar, dass man als erste Reaktion die Parlamentssitzungen absagt. Es ist eine neue Situation für uns alle, wir haben keine Erfahrungswerte. Aber es ist eminent wichtig, dass wir handlungsfähig bleiben. Wir können in Krisensituationen nicht den ganzen Politbetrieb über längere Zeit einfrieren. Es braucht Mechanismen, damit wenigstens die Kommissionen weiter arbeiten können. Firmen schaffen das ja auch.

Hätte man sich beim Bund also besser auf so eine Situation vorbereiten sollen?

Gewisse Instrumente hätte man wohl bereits einführen können. Nun müssen aus der Situation heraus rasch Lösungen entwickelt werden. Denn es gibt viele wichtige politische Geschäfte, die nun blockiert sind. Warum soll ein Parlament unter den aktuellen Hygiene- und Abstandsregeln nicht tagen und damit seine zentrale Aufgabe als Kontrollinstanz gegenüber der Exekutive wahrnehmen können? Was tausende Betriebe innert wenigen Tagen improvisieren und neu aufgleisen mussten, das soll für unser demokratisches Politsystem nicht möglich sein?

Hat die Absage des Kantonsparlaments auch Auswirkungen auf wichtige Luzerner Projekte wie zum Beispiel den Tiefbahnhof?

Nein, der Tiefbahnhof ist sehr langfristig angelegt und geplant. Viel akuter ist die Thematik bei kurz- und mittelfristigen Projekten. Wenn der Kantonsrat nicht tagt und entscheidet, kann das etwa zu Verzögerungen bei Investitionen führen und darunter wiederum leiden dann involvierte Firmen und Arbeitnehmer, die wegen Corona eh schon unter grossem Druck stehen.

Auch wenn es noch etwas früh für ein Fazit ist: Was denken Sie, sind die Learnings in der Politik für die Zukunft?

Virale Krisen oder ähnliche Extremsituationen können sich wohl häufiger ereignen. Wir werden auf allen Ebenen aus der Corona-Krise lernen, das ist der positive Effekt. Die Politik lernt hoffentlich, wie sie in einer akuten Krisensituation von Anfang an weiter funktionieren kann.

veröffentlicht: 26. März 2020 14:29
aktualisiert: 27. März 2020 08:04
Quelle: PilatusToday

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