Schwindende Fischbestände

«Man muss sich fragen, ob man überhaupt noch fischen darf»

30.07.2020, 09:26 Uhr
· Online seit 30.07.2020, 05:54 Uhr
Die Bestände wandernder Süsswasserfische haben in den vergangenen 50 Jahren weltweit dramatisch abgenommen. Auch die Zentralschweiz ist von der Entwicklung betroffen. Vor allem heimische Fische, wie die Forelle oder die Äsche, haben mit den Veränderungen in der Umwelt zu kämpfen.
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Laut einem Bericht des WWF haben die Fischbestände in Europas fliessenden Gewässern um schockierende 93 Prozent abgenommen. Dies vor allem wegen Verbauungen und Veränderungen der Flüsse. Die Leidtragenden sind hauptsächlich wandernde Fischarten, die zum Laichen weite Strecken hinter sich bringen müssen.

Auch in der Zentralschweiz zeige sich in den Fliessgewässern eine klare Abnahme der Fischbestände, bestätigt der Abteilungsleiter Natur, Jagd und Fischerei des Kantons Luzern Peter Ulmann. Hierzulande sieht er das Problem aber nicht primär in den Verbauungen. In den letzten 50 Jahren seien nur wenige hinzugekommen und man versuche stets, den Hochwasserschutz miteinzubeziehen. Eher warme Temperaturen, grosse Trockenheit sowie Rückstände von Pflanzenschutzmittel und Gülle seien schuld, dass immer weniger Fische in den Flüssen und Bächen der Zentralschweiz gesichtet werden.

Die kühlen Bergbäche der Zentralschweiz wären eigentlich typische Forellengewässer. «Wenn sich das Wasser aber auf über 20 Grad erwärmt, geraten die Forellen in eine Stresssituation und ab 24, 25 Grad können sie sogar daran sterben», so Ulmann. Dazu kommt, dass sich Fremdstoffe wie Pflanzenschutzmittel und Gülle in warmem Wasser viel stärker auswirken. Die Quittung kommt per Fangstatistik: «Die Fangzahlen in den Zentralschweizer Fliessgewässern haben sich in den letzten 30, 40 Jahren mindestens halbiert», weiss Ulmann.

Seen sind zurzeit noch stabil

Aus diesem Grund kehren immer mehr Fischer fliessenden Gewässern den Rücken und versuchen ihr Glück an den grossen Seen. Weil die Fische dort auch in heissen Sommern auf kühles Wasser stossen, können sie länger überleben.

Dominik Sager ist einer der Fischer, der früher viel an der Reuss unterwegs war. «Irgendwann wurden die Bestände so schwach, dass ich mir überlegen musste, ob es noch ethisch vertretbar ist, weiter nach den wenigen verbleibenden Äschen zu fischen.» Früher habe er dem Fluss entlang spazieren und beim beiläufigen Hinsehen locker 50, 60 Äschen beobachten können. «Im Vergleich dazu ist der Stand heute quasi inexistent», meint er frustriert.

Auch er sieht einen grossen Teil des Problems in den Pestiziden, aber nicht nur. «Meiner Meinung nach haben die Wasserkraftwerke am meisten Auswirkungen auf die Fischbestände», so der Stadtluzerner. Beim Kraftwerk am Mühleplatz zum Beispiel seien früher bedeutende Laichplätze der Äschen gewesen, die nun weitgehend verwaist sind. Der Kanton versuche zwar, mit Kies die Laichplätze aufzuwerten. «Ich aber zweifle stark daran, dass das funktioniert», so Sager. Man habe es schlicht verpasst, mit dem Neubau des Luzerner Wehrs anständige Fischauf- und Abstiege zu schaffen, um eine Fischwanderung zu gewährleisten.

Die Zentralschweizer Seen wie der Vierwaldstättersee wiesen zwar in den vergangenen 10, 20 Jahren einen relativ stabilen Fischbestand auf, doch auch dieser sei nicht mit früheren Jahren zu vergleichen. «Während man in den 70er-Jahren in einem halben Tag 30 Felchen fischen konnte, fange ich heute zwei.» Das reiche ihm aber auch, denn er brauche nicht kiloweise Fisch, sondern sei schon mit einem guten Abendessen zufrieden. «Es ist einfach tragisch, dass man sich als Fischer heute fragen muss, ob man überhaupt noch fischen gehen darf.»

veröffentlicht: 30. Juli 2020 05:54
aktualisiert: 30. Juli 2020 09:26
Quelle: PilatusToday

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